Goethe, Schiller, Chinakohl by Thomas Spitzer

Goethe, Schiller, Chinakohl by Thomas Spitzer

Autor:Thomas Spitzer [Spitzer, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2015-03-14T16:00:00+00:00


Thema Nr. 1

Kartoffel liebe ich nicht.

Kartoffel lieben die meisten Deutschen.

Warum ist Kartoffel so beliebt?

Heute Morgen suche ich im deutschen Stadtzentrum nach Nahrung, weil ich ein ausgezeichnetes Essen für meine Gastmutter kochen will.

Aber ich kann nur Kartoffel finden.

Kartoffel, Kartoffel. Immer nur Kartoffel.

Kartoffel, Kartoffel, nichts als Kartoffel.

Alles mit’m Mund

Wieder aus dem Schlaf gerissen. Wieder ein Treffen um neun. Wieder kein Frühstück. Wieder eine unruhige Nacht. Wieder zwei Schlaftabletten meines gewohnten Fabrikats, die ich irgendwann um halb drei nacheinander nahm, weil alles nichts half. Diesmal war es das Brummen der Klimaanlage, mein immer noch halb verschleppter Jetlag und das unangenehme Völlegefühl, das ich seit Tagen mit mir herumtrug. Schon seit dem Wochenende hatte ich nicht mehr … nun ja … sagen wir … die Kachelabteilung besucht. Jetzt war Mittwoch.

Ich denke, es war eine Kombination aus fettigem Essen, vielem Fleisch, vielem Reis und wenig Obst. Jedenfalls wurde mir klar: Es brauchte nicht mehr viel, und ich würde den Verstand verlieren. Im wahrsten Sinne des Wortes. Spätestens jetzt wurde mir klar, dass mir die Reise noch stark an die Substanz gehen würde.

Ich stand also gewohnt planlos und gerädert auf und rannte zum McDonald’s, um mir wenigstens noch einen Pappbecher Kaffee in den Rachen zu schludern, bis mich eine Frau vom Deutschen Akademischen Austauschdienst abholen würde.

Die Frau vom DAAD trug ein feines Abendkleid und sah insgesamt ein bisschen streng aus. Wie diese Frau in Breaking Bad, die den Kaffee immer so auffällig süßt. Auf der Fahrt erklärte sie mir, was mich an der Sun Yat-sen-University erwarten würde: Ein zweistündiger Workshop vor zwanzig Studentinnen, die alle seit zwei Jahren Deutsch lernten.

Als ich die erste Übung des Workshops erklärte, merkte ich, dass das eine ganz andere Nummer werden würde. Manche Studierende sprachen gar kein Deutsch. Ich musste improvisieren. Und erlaubte ihnen erstmals, auch Texte in ihrer Muttersprache zu verfassen. Schließlich ging es mir ja nicht um die Sprachkenntnisse, sondern darum, dass die Leute schrieben. Und dass ich meine Schlaftablette endlich abbaute, deren Wirkung nur langsam aus meinem Schädel hinaus und über die Arme durch die Fingerspitzen das Weite suchte.

»Hier«, sagte die Frau vom DAAD, während die Schüler sich an die erste Übung machten, und drückte mir einen weiß-blau gestreiften Fetzen in die Hand.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Das ist ein HSV-Schal und ein HSV-Trikot«, sagte sie. »Für die Besten.«

»Eine Belohnung?«

»Ja.«

»Aber wozu? Es geht hier gerade darum, sich nicht mit den anderen zu messen.«

»Aber … vielleicht machen das ja ein paar Leute besonders gut.«

»Und überhaupt: ein HSV-Schal? Das ist ja wohl das schlimmste Kleidungsstück von allen. Allein die blauen Fransen sind so ziemlich das Hässlichste, was ich je gesehen habe. Ganz ehrlich: Ich glaube, ich würde mir lieber einen Kartoffelsack über den Kopf stülpen, als einen HSV-Schal anzuziehen.«

»Sollte es lieber ein HSV-Handschuh sein?«

Es war hoffnungslos. Aber immerhin entstanden ein paar gute, also ehrliche Texte. Das war das Wichtigste. Bei der Aufgabe, ein »typisch deutsches« Gedicht zu schreiben beispielsweise, entstand eine kleine und sehr komische Miniatur zum Thema Kartoffel.

Generell ist das ja immer spannend, wie Deutschland von außen wahrgenommen wird. Man erinnere sich nur an diesen skurrilen Oktoberfest-Tag-der-Deutschen-Einheit.



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